Reger Betrieb herrscht momentan auf dem Stausee Raggal. Unter Wasser wird gebohrt, verschraubt, manchmal auf Französisch und Italienisch geflucht, aber auch sehr viel gelacht. Wir durften bei den Arbeiten einen Tag lang über die Schulter schauen.
Dichter Nebel, 2,5 Grad Außentemperatur, Nieselregen … das Letzte, an das wir bei diesem Wetter denken würden, ist Tauchen zu gehen. Nicht so Angèle, Baptiste, Alexis und Giacomo. Diese vier gehen aktuell fast täglich im Speichersee Raggal unter Wasser. An einem Wintertag dürfen wir sie dabei begleiten. Gut, zum Glück nicht in die Tiefen – 5 Grad Wassertemperatur klingen dann doch nicht ganz so verlockend –, doch wir wagen uns auf ihr Ponton auf dem See. Schon die Anreise gestaltet sich abenteuerlich. In einem Arbeitskorb geht es per Kran runter auf die kleine „Insel“, auf der die Industrietaucher:innen alles für ihren Einsatz vor Ort haben. In einem Container befinden sich eine Werkstatt samt kleinem Lager, ein Umkleideraum und die Kommandozentrale.
Mit Know-how und einem guten Tastsinn
Hier treffen wir auf drei Teammitglieder, Baptiste ist gerade unter Wasser. Es soll ein langer Tauchgang werden. Eineinhalb Stunden arbeiten bei null Sicht. Das können wir am kleinen Bildschirm sehen, der die Aussicht der Helmkamera zeigt. Oder eben nicht. Denn uns präsentiert sich nur eine trübe, hellbraune Brühe. „Der Regen der vergangenen Tage macht die Bedingungen schwieriger“, erklärt Giacomo. „Als wir im September mit den Taucharbeiten begonnen haben, konnten wir noch ein bisschen mehr sehen, aber aktuell kommen mehr Feinstoffe in den See, sodass die Sicht gegen Null geht. Im Grunde wird alles ertastet.“ Nicht gerade optimale Voraussetzungen, wenn man dabei ist, exakte Bohrungen für einen Stahlrahmen vorzunehmen.
Das Ziel: ein trockengelegter Grundablass
An dieser Stelle springen wir vielleicht kurz an den Anfang der Geschichte. Denn die vier tauchen ja nicht ohne Grund im Speichersee. Das Team von Hydrokarst Swiss leistet die Vorarbeiten für die geplante Sanierung des Grundablasses an der Staumauer, der dafür zunächst trockengelegt werden muss. Dieser Aufgabe widmen sich die vier Industrietaucher:innen aus der französischen Schweiz seit Mitte September. „Die ersten Wochen verbrachten sie damit, Sedimente und die Rechenfelder zu entfernen. Nun geht es darum, den rostfreien Dichtrahmen zu montieren“, erklärt Lucas Fürst, der von Seiten Sedimentmanagement der illwerke vkw für die Trockenlegung des Grundablasses zuständig ist. Beim Besuch auf dem Ponton spürt man seine Faszination für die Arbeit der Industrietaucher. „Für mich klingt es einfach unvorstellbar, unter solchen Voraussetzungen Millimeterarbeit zu leisten. Aber die vier gehen so positiv an die Sache ran. Das begeistert mich.“ 120 Bohrungen braucht es für den Rahmen. Eine Arbeit, die die Taucher:innen mehrere Tage beschäftigt. Ist der Rahmen montiert, kommen Stützen zur Absicherung ins Innere des Bauwerks. Schließlich folgen der Deckel als Abschottung und weitere Stützen an der Seite. Nach dem Entleeren des Ablasses wird es dann nochmal spannend: eine Standprobe bei maximalem Stau zeigt, ob die Abschottung auf dem Grundablass dem Druck standhält. Erst dann kann mit der Sanierung im Inneren begonnen werden. Läuft alles nach Plan, sollte der rundum erneuerte Grundablass im Herbst 2024 wieder in Betrieb gehen können.
Baptiste, Giacomo, Angèle und Alexis mit Lucas Fürst vom Sedimentmanagement der illwerke vkw (v. l. n. r.).
Ein eingespieltes Team
Zunächst steht aber das erste Etappenziel bevor: die Trockenlegung, die bis Ende Januar geschafft sein sollte. Daran arbeiten Angèle, Baptiste, Alexis und Giacomo mit vollem Einsatz. Jeder von ihnen absolviert am Tag einen Tauchgang, der in der Regel ca. eineinhalb Stunden dauert. „Davon wird eine Stunde in etwa 20 Metern Tiefe gearbeitet“, erklärt Alexis. „Beim Auftauchen müssen wir dann auf 6 Metern Tiefe 30 Minuten pausieren.“ In dieser Phase der Dekompression erhalten sie reinen Sauerstoff, warmes Wasser in den Anzug und per Funk die nötige Ablenkung durch die Kolleg:innen. „Wir bewahren uns immer unseren Humor, auch wenn die Umstände noch so widrig und die Arbeit gefährlich sein mag“, schmunzelt Giacomo. Die Crew kann sich aufeinander verlassen. Ist einer unter Wasser, steht ein zweiter in voller Tauchmontur für den Notfall bereit. Der dritte im Bunde hält über Funk Kontakt und kontrolliert alle Werte. Nummer vier im Team kümmert sich um den Kran auf dem Ponton, über den Werkzeug und Bauteile in die Tiefe „gereicht“ werden können. Nach über eineinhalb Stunden Arbeit und über 35 Minuten Pause ist es für Baptiste dann endlich so weit. An der Leine, die unter Wasser als Orientierung dient, findet er den Weg aus der Dunkelheit wieder ans Tageslicht. Es war ein strapaziöser Tauchgang mit schwierigen Bohrungen, ein kleines Loch im Handschuh tat sein Übriges dazu. Doch als ihm Helm und Montur abgenommen werden, kann er schon wieder lachen – und übergibt das Zepter an Angèle, die sich nach ihm unter Wasser begeben wird. Wir dagegen entschweben wieder im Korb. Dankbar für die spannenden Einblicke, aber auch froh, wieder ins Warme zu können.
Der Taucherhelm wiegt fünf Kilo, die gesamte Montur kommt auf ca. 40 Kilo.