Wie entsteht ein Kleinwasserkraftwerk? Wir haben den Projektverantwortlichen über die Schultern geschaut und zeigen anhand der wesentlichen Bauhighlights, wie ein Laufkraftwerk Realität wird, das künftig genug Energie für die Wälder Gemeinden Au, Schoppernau und Damüls erzeugen wird.
Aber erst einmal von Anfang an: das Kleinwasserkraftwerk Argenbach entsteht in Au im Bregenzerwald und wird mit Strom aus erneuerbaren Quellen einen wertvollen Beitrag zur Energieautonomie in Vorarlberg leisten. Ganz einfach ausgedrückt, besteht das Kraftwerk aus einer Wasserfassung, einem rund 4,1 Kilometer langen Druckrohr und einem Krafthaus, in dem zwei Maschinensätze mit einer Leistung von 5,8 bzw. 1,2 Megawatt untergebracht sind. Bei Volllast werden rund 3.500 Liter pro Sekunde (zum Vergleich: das füllt Ihren 20.000 Liter-Pool in 5,7 Sekunden) die zwei Peltonturbinen antreiben und über die Generatoren 24 Millionen Kilowattstunden Ökostrom erzeugen. Die Druckrohrleitung wird auf halber Strecke als GFK-Rohr auf Betonsockeln in einem Stollen verlaufen und zur Hälfte als duktiles Gusseisenrohr in die Erde verlegt.
Was in der Theorie gut handhabbar klingt, ist in seiner Entstehung in der Realität ein wahrer Kraftakt: die wesentlichen Entstehungsphasen daher an dieser Stelle in einem textlichen Zeitraffer:
Ende 2018 / Anfang 2019: Der Baustart
Jedem Baustart geht eine intensive Planungsphase voraus. Je weiter das Projekt fortschreitet, desto detaillierter, denn gut geplant ist ja bekanntlich halb gebaut. Ende 2018 startet die Stollenbaufirma mit der Platzierung des Baubüros, der Baustelleneinrichtung und schließlich dem so genannten Voreinschnitt am unteren Stollenportal. Mitte 2019 startet der Stollenvortrieb. 800 von 2.000 Meter Stollen sind bis Jahresende ausgebrochen. Auch mit der Verlegung des Druckrohrs ab dem Krafthaus aufwärts haben die Spezialisten der zweiten Baufirma bereits begonnen. Die ersten 700 von insgesamt 2030 Meter sind bis Silvester in die Erde eingebracht.
2020: Es wird spektakulär
Mit Ende 2020 sind bereits 1.400 von 2030 m verlegt. Das Druckrohr hat damit beinahe das Stollenportal erreicht. Besonders faszinierend ist, wie die Verlegungsarbeiten in einem Steilstück erfolgen, denn die 8 Meter langen Rohre und das gesamte Bettungsmaterial werden mithilfe eines Mobilkrans von unten zum Verlaufsort der Leitung angereicht. Parallel dazu erledigt ein angeseilter Schreitbagger den Aushub. Das bewerkstelligen die Experten in der so genannten „Auf-Zu-Methode“. Erklärt ist diese ganz einfach: Loch auf, Rohr eingebaut, Loch wieder zu.
Zeitgleich starten im Bereich der späteren Wasserfassung die Vorbereitungen an den steilen Hangflanken der Argenbachschlucht. Dazu müssen Bereiche gerodet, felsberäumt und mit Schutznetzen versehen werden. Der Zugang zur Wasserfassung wird später auch im Winter über den Stollen erfolgen können. Dazu ist neben der Druckrohrleitung noch genug Platz auch für größere Fahrzeuge vorgesehen. Im Dezember 2020 ist der Stollenvortrieb abgeschlossen und damit auch erstmals das Vorrücken mit schwerem Baugerät zur Wasserfassung möglich.
2021, das erste Quartal: Viel Beton und geologisch bedingte Stirnfalten
Das erste Quartal steht im Zeichen des Stollenausbaus. Es wird eine Faserbetonsohle eingezogen, die später auch der Auflagerung für das Druckrohr dient. Der Stollen beherbergt jetzt alle Leerrohre und die Kraftfahrer freuen sich über eine komfortable Fahrbahn. Sorgen bereitet der Projektleitung indessen die Geologie im Bereich der Wasserfassung. Nach den ersten Erdarbeiten und Bodenerkundungen in diesem Bereich ist klar: zusätzliche und leider auch zeitintensive Sicherungsmaßnahmen in den Baugruben werden in großem Umfang nötig sein.
2021, das zweite Quartal: Die Uhr tickt
Der Winter war intensiv und dementsprechend hoch liegt noch Schnee in der Schlucht. Zunächst werden im bis zu 60°(!) steilen Hang Schutzzäune aufgestellt. Beidseitig des Wehres sowie am Entsander arbeiten nun 3 Partien gleichzeitig. Mit teils schwerstem Gerät werden großflächige Spritzbetonwände errichtet und im Gelände verankert. Endlich wird die Felssohle erreicht, diese dient als stabile Auflagerung für den Bau des Wehres. Die Flussarbeiten können beginnen.
Die Männer, die weitere 600 Meter Druckrohr unter die Erde bringen sollen, arbeiten massiv gegen die Zeit, denn der dafür vorgesehene Zeitraum zwischen der Fertigstellung der Stollensohle und dem Beginn des Fahrbetriebs des Güterweges Mitte Mai ist knapp bemessen. Der Grund ist der, dass die Druckrohrleitung hier im Fahrweg zum Stollen liegt und während dieser Arbeiten weder an der Wasserfassung noch im Stollen gearbeitet werden kann. Zudem muss der Güterweg als Nadelöhr zu den Alpen schnellstmöglich wieder frei befahrbar sein. Um die Effizienz zu erhöhen, werden zwei Partien eingesetzt. Eine davon komplett eingeschlossen und mit vorgelagertem Material. Bis auf den letzten Meter im Portalbereich ist der erdverlegte Teil rechtzeitig abgeschlossen.
Noch im April startet eine weitere Partie mit dem Bau des Krafthauses – zum Ende des Quartals steht bereits der gesamte Kellerbereich samt Verteilrohrleitung.
2021, das dritte Quartal: und täglich grüßt das Murmeltier
Zunächst wird eine großräumige Bachumleitung mit Fertigbetonwänden errichtet, welche sämtliche Bauarbeiten selbst bei Hochwasser schützen muss. Über den Sommer starten dann endlich die Betonarbeiten am Wehr und dem Entsandergebäude. Nach den anhaltenden Regenfällen im ersten Halbjahr wurde im Berghang viel Geröll freigelegt. Somit wurden neue Sicherungsmaßnahmen notwendig, um alle Beteiligten und in weiterer Folge auch die Wasserfassung bestmöglich vor Umwelteinflüssen zu schützen. Das Krafthaus wächst unterdessen stetig weiter. Herausfordernd ist sind in diesem Bereich die komplexen Betonierarbeiten, die die beiden unterschiedlichen Maschinensätze erfordern. Um diese später einbauen zu können, wird ein Hallenkran eingebaut. Bis zum Ende des Quartals steht der gesamte Rohbau – inklusive des Unterwasserkanals.
2021, das vierte Quartal: Ein Wettlauf gegen den Wintereinbruch
Die ersten Vorboten des Winters lassen den Projektverantwortlichen keine Wahl: ein dritter Baukran muss her, um parallel arbeiten zu können und die Bauleistung noch weiter zu erhöhen. Ende November setzt Frau Holle allerdings ein Zeichen und reduziert die Bauleistung zum Jahresende drastisch. Nichtsdestotrotz wird der Bauplan weiter optimiert und die Planer zerbrechen sich den Kopf, wie es gelingen kann, zumindest noch Teile der Schneeschmelze im kommenden Frühjahr zur Stromerzeugung nutzen zu können.
Im Stahlwasserbau geht es Schlag auf Schlag: das hydraulisch reinigende Tirolerwehr und die rund 4x3 Meter große Wehrklappe werden eingehoben. Besonders interessant: der Antrieb des massiven Bauteils sitzt komplett im Mittelpfeiler. Der Innenausbau und die gesamte Holzfassade des schmucken Krafthauses sind mittlerweile fertiggestellt und bereit, die Maschinensätze und Hilfsbetriebe zu beherbergen, die nun angeliefert werden. Ein besonderes Highlight bei den folgenden Montageschritten ist das Einheben des 32 Tonnen schweren Generators des größeren Maschinensatzes bei beginnendem Schneefall. Auch beide Transformatoren, die die Energie schließlich über das 30 Kilovolt-System ableiten werden, erreichen rechtzeitig vor Ende des Jahres ihren Zielort
2022: Finaaaale, Ohooo!
Im ersten Halbjahr 2022 gehen die Arbeiten an diesem modernen Laufkraftwerk nun ins Finale. Bis Ende Februar laufen die Hochbauarbeiten an der Wasserfassung. Die vorgelagerten Rohre müssen im Stollen auf Betonsockeln aufgeständert werden und mit dem erdverlegten Gussrohr am unteren Portal verbunden werden. Viele weitere Schritte sind noch nötig, bis erstmals Wasser auf die Turbinen trifft und mit dem ersten Drehen der finale Countdown bis zur Inbetriebnahme startet. Das wunderbare Fazit der Projektleitung nach einer bisherigen Bauzeit voller Herausforderungen wie Corona, Lieferengpässen oder Umwelteinflüssen lautet einhellig, dass in einem harmonischen Team alles möglich wird. Gelobt wird die hohe Identifikation der beteiligten Kollegen und Unternehmen an dem Zukunftsprojekt und die problemlösungsorientierte Herangehensweise. Und diese Einstellung garantiert, dass alle unter Hochdruck daran arbeiten werden, wieder ein Stückchen näher an die Energiezukunft heranzurücken.